Knieprothetik - aktueller Stand

 

Patientenspezifische Planung und neue Operationstechnik bei Knieprothesen

 

Dr. med. Matthias Schmied (Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates)

Dr. med. Matthias Schmied (Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates)

Wann ist das Knie reif für die Prothese?

Die Symptome der degenerativen Gelenks-Erkrankungen sind sehr variabel. Fortgeschrittene Arthrosen im Röntgenbild bei beinahe asymptomatischen Patienten sind keine Seltenheit. Im Gegensatz dazu stehen invalidisierende Schmerzen, die den Erkrankten aus dem Alltag reissen und ans Bett fesseln.

Die initiale Behandlung der Gonarthrose beinhaltet in den meisten Fällen konservative Ansätze. Oft haben eine physikalische Therapie in Kombination mit antiphlogistischen Massnahmen Erfolg. Die Beschwerden zeigen ein gutes Ansprechen auf intraartikuläre Injektionen und der Patient ist, insbesondere nach erster Konfrontation mit der Diagnose, über konservative Massnahmen glücklich. Kommt es jedoch trotz dieser Behandlung zu einer Zunahme der Beschwerden, stellt sich die Frage nach operativen Möglichkeiten.

Die Kniearthroskopie ist für beginnende Arthrosen eine sinnvolle, minimalinvasive Behandlungsmöglichkeit. Partielle Resektionen von degenerativ zerschlissenen Menisken oder Knorpelglättungen können durchaus einen positiven Effekt haben. Sind die pathologischen Veränderungen jedoch fortgeschritten, so ist der Gelenksersatz zu diskutieren. Insbesondere Gelenksdeformationen mit Veränderung der Beinachse in Richtung Valgus oder Varus sollten Anlass geben, die Knieprothese als Therapieoption zu erwägen und die Beurteilung durch einen Orthopäden ist in diesen Fällen sinnvoll.

Entwicklung und neue Operationstechnik

Die Knieprothetik befindet sich mit jährlich steigenden Zahlen auf dem Vormarsch. Es gibt entsprechend dem weltweit zunehmenden Bedarf eine immense Vielfalt an verschiedenen Knieprothesen. Die Grundlage einiger dieser Modelle ist das Nachempfinden des physiologischen Bewegungsablaufs eines gesunden Knies. Dieses Pivotieren um den medialen Gelenksanteil bei der Flexions- und Extensionsbewegung soll dem Patienten ein möglichst natürliches Gefühl des operierten Knies vermitteln.

Immer häufiger wird die Implantation von Knieprothesen nach einer individuellen, knochenbasierten Planung mittels Computer- oder Magnetresonanztomographie durchgeführt. In vielen Fällen erweisen sich die patientenspezifschen Schnittblöcke als sinnvolle und zeitsparende Technik. Bei pathologischen Varus- oder Valgus-Beinachsen kann es jedoch zu Problemen kommen, da die ligamentäre Situation des Kniegelenkes in der Planung nicht erfasst wird. Die daraus resultierende Instabilität kann zum Teil mit einem Weichteilrelease kompensiert werden. Bei höher gradigen Deformitäten kann neu die Position der Femurkomponente kontrolliert angepasst werden, um eine balancierte Knieprothese zu erhalten. Eine entsprechende Anpassung der Beinachse und/oder Femur-Rotation findet sinnvoller Weise statt, bevor die Knochenschnitte am Femur durchgeführt werden, um eine Proximalisierung der Joint Line zu verhindern.

Eine solche Technik wird nachfolgend dargestellt. Die Korrektur der Positionierung der Femurkomponente kann dabei zuverlässig vor der femoralen Knochenresektion erfolgen.

Beinachse und Weichteilbalancing

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Versuche unternommen, Arthrosen operativ zu sanieren. Mit Themistokles Gluck zeichnete sich Ende des 19. Jahrhunderts der Beginn des Gelenkersatzes im Bereich des Knies ab. Seit diesem Zeitpunkt gibt es eine andauernde Weiterentwicklung und Optimierung der Implantate und der Operationstechnik, die zum heutigen Stand der Prothetik geführt haben. Während man viele Neuerungen wieder verwerfen musste, haben einige Prinzipien Bestand gehabt. Dazu gehören die ligamentäre Balancierung der Knieprothese und das adäquate Alignement der Beinachse.

Verschiedenste Arbeiten haben gezeigt, dass eine neutrale Beinachse eine der wichtigen Voraussetzungen für das Funktionieren und für eine lange Lebensdauer der Knieprothesen darstellt. Allerdings ist die neutrale und physiologische Beinachse ein individueller Wert, der in gewissen Grenzen schwankt. Gesunde Individuen mit vorbestehen- den hypovalgischen oder sogar leicht varischen Alignements profitieren nicht unbedingt von einer Knieprothese, die in einer standardisierten Valgus-Position implantiert wird.

Das Ligament Balancing zielt auf eine ausgewogene mediolaterale Stabilität der implantierten Knieprothese in Flexion und Extension ab. Präoperativ bestehende Instabilitäten können dabei in einem ersten Schritt mittels Weichteilrelease angegangen werden. Oft kann so eine symmetrische Bandspannung unter Erhalt einer neutralen Beinachse erreicht werden. Bei ausgeprägten Deformitäten in Richtung Valgus oder Varus reicht ein Release für eine vollständige Balancierung nicht immer aus. In diesen Fällen ist eine leichte Adaptation der Femurkomponenten-Position sinnvoll. Allerdings sollte diese Korrektur möglichst vor den femoralen Schnittführungen durchgeführt werden, um eine Proximalisierung der Joint Line zu verhindern.

Der neue patientenspezifische «Simulations-Korrektur-Schnittblock» imitiert die geplante Position der definitiven femoralen Komponente. So können die Beinachse und die Bandspannung in Flexion und Extension nach dem Tibiaschnitt bereits kontrolliert werden und mit der nachfolgend dargestellten Technik nötigenfalls korrigiert werden.

Knieprothesen mit physiologischer Kinematik

Themistocles Gluck ging um 1860 noch von einem Scharniermechanismus bei Kniegelenken aus. Erst in den 1960er Jahren wurde diese Meinung revidiert. Anatomische Studien des Kniegelenks und insbesondere der Kreuzbänder führten zur Theorie der viergliedrigen Gelenksverbindung. Mit J-förmigen Femurkomponenten wurde versucht, die physiologische Rückrollbewegung nachzubilden. CT- und uoroskopische Studien zeigten schliesslich, dass sich der mediale Kniegelenksanteil eher wie ein Kugelgelenk verhält, während lateral eine a.p. Translation statt endet. Das Kniegelenk pivotiert bei der Flexions-Extensionsbewegung um eine Achse durch den medialen Gelenksanteil. Weitere Kadaverstudien zeigten auch, dass der Abstand der ständigen Flexionsachse des Femurs und der distalen und posterioren Kondylenachse annähernd gleich sind. Das hier vorgestellte Kniesystem baut auf diesen Prinzipien auf (ADVANCE Medial-Pivot Kniesystem, Microport). Die femorale Komponente hat im Bereich von 90° Flexion bis zur vollständigen Extension einen konstanten sagittalen Radius. Um das physiologische Pivotieren des Kniegelenkes bei einem «Fixbearing» System (fixiertes Inlay) zu ermöglichen, hat das Inlay medial eine zur Femurkomponente ultrakongruente Form (Ball-in-Socket) mit einem robusten anterioren Rand. Lateral erlaubt die achere Form des Inlays eine bogenförmige Translation von 15 Grad. Im Weiteren bleibt das Femur medial wie bei einer «posterior-stabilized» Knieprothese beim Flektieren in derselben anteroposterioren Position stehen. Die medial ultrakongruente Formgebung vermittelt ein Stabilitätsgefühl über den gesamten Bewegungsablauf. Auch entfällt das Risiko eines «Spin-Out» dank dem fixierten Inlay. Durch das Nachvollziehen dieses Formprinzips kann die physiologische Kinematik eines gesunden Kniegelenkes nachgeahmt werden.